Fallstudien

Fallstudien

Der Ethikrat prüft einzelne Statistiken oder Aktivitäten im Zusammenhang mit der öffentlichen Statistik der Schweiz:

• aufgrund einer offiziell an den Ethikrat gerichteten Eingabe von aussen;
• auf Ersuchen eines Produzenten oder deren vorgesetzten Stellen um Beratung; oder
• in Form einer Eigeninitiative.

Die Feststellungen und Vorschläge des Ethikrats zu den geprüften Fällen werden - unter Beachtung des Persönlichkeitsschutzes - publiziert.

Die folgende Übersicht orientiert über den Sachverhalt, die Behandlung bzw. Beurteilung und die allfälligen Vorschläge zu Fällen, die dem Ethikrat vorgelegt wurden, mit Verweis auf die betroffenen Prinzipien der Charta. Ebenso sind die vom Ethikrat behandelten Fälle missbräuchlicher Verwendung öffentlicher Statistik dokumentiert.
 

Nr.

Jahr

Anlass

Betroffene Prinzipien

Sachverhalte

Behandlung / Beurteilung

A12 2023 Eingabe Bereiche II. Unabhängigkeit, III. Persönlichkeits-und Datenschutz, V. Qualität Prüfung der Wirtschaftlichkeit der medizinischen Leistungserbringer durch santésuisse

Der Verein Ethik und Medizin Schweiz VEMS stellt aufgrund einer Expertise die von santésuisse angewandte statistische Methode im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsverfahrens in Frage. Der Ethikrat verweist auf seine früher erfolgten Stellungnahmen in dieser Angelegenheit und begründet sein Nicht-Eintreten: Bei der Überprüfung der Wirtschaftlichkeit von medizinischen Leistungserbringern handelt es sich nicht um öffentliche Statistik im Sinne der Charta, sondern um eine administrative Tätigkeit des Dachverbandes der Krankenversicherer, basierend auf den Daten der Versicherer.

Antwort des Ethikrates

   
A11 2021 Eingabe Transparenz; Kohärenz und Vergleichbarkeit Steuerbelastungsstatistiken der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV)

In den Statistiken der ESTV wird für den Kanton Neuenburg für die Steuerjahre 2018 und 2019 eine vergleichsweise hohe Steuerbelastung ausgewiesen. Im Vergleich mit anderen Kantonen zeigen die zuvor getätigten Steuerreformen zur Verringerung der Belastung der Steuerzahlenden kaum Wirkung. Der Kanton Neuenburg stellt daher die von der ESTV angewandte Methodik in Frage. Im Speziellen bemängelt er das Nichtberücksichtigen gewisser Kategorien von Steuerabzügen, die von Kanton zu Kanton stark variieren können.

Um in den Steuerbelastungsstatistiken die steuerliche Situation aller Kantone vergleichend abbilden zu können, modelliert die ESTV mit einer einheitlichen Datenbasis. Berücksichtigt werden sämtliche gesetzlichen Steuerabzüge, die ohne Kostennachweis vorgenommen werden können. Es fliessen somit in die Steuerbelastungsstatistiken nicht alle kantonalen Besonderheiten ein. Diese können in einem anderen Modul des gleichen Rechners zur Bestimmung der individuellen Steuerbelastung eingegeben werden. Gezielte Vergleiche der so berechneten Belastung mit anderen Konstellationen sind einfach möglich.

Der Ethikrat heisst das Vorgehen der ESTV gut und empfiehlt durch Hinweise auf die jeweils andere Berechnungsart, allenfalls verbunden mit ein paar Fallbeispielen, die Metainformation zu verbessern.

Antwort des​ Ethikrates
A10 2013 Eigeninitiative Zweckbindung Projekt MARS des BFS Sitzung des Ethikrats mit BFS.
Nach einer kürzlichen Revision überträgt das Krankenversicherungsgesetz (KVG) dem BFS die Aufgabe, im Bereich der ambulanten Gesundheitsvorsorge regelmässige Erhebungen bei Produzenten durchzuführen. Die erhobenen Daten sollen dabei sowohl für Kontroll- wie für statistische Zwecke verwendet werden.
Der Ethikrat bedauert diese Verletzung des Prinzips, dass Daten im System der öffentlichen Statistik ausschliesslich für statistische Zwecke verwendet werden dürfen, und verlangt deshalb eine möglichst weitgehende Trennung der auf die Erhebung folgenden Schritte zwischen der administrativen Verwendung einerseits (in Verantwortung des Bundesamt für Gesundheit BAG) und der statistischen Verwendung andererseits (in der Verantwortung des BFS).
Das Grundproblem kann aber nur durch eine Änderung des KVG gelöst werden.
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A9 2012 Eingabe Transparenz
Methoden
Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie, die unter Benützung von Daten der Santésuisse erstellt wurde. Kritisiert wurden die verwendeten Methoden und Daten, die für die gemachten Schlussfolgerungen nicht adäquat seien. Nicht eintreten, da das Mandat des Ethikrats die Beurteilung von wissenschaftlichen Studien ausserhalb der öffentlichen Statistik nicht einschliesst. Auch betrachtet der Ethikrat  die verwendeten Daten der Santésuisse nicht als der öffentlichen Statistik zugehörig, da sie über keine entsprechende Rechtsgrundlage verfügen.
Antwortbrief an den Antragsteller, der in einer Replik seiner Enttäuschung Ausdruck gibt.
Eingabe
Antwort des Ethikrats
Replik des Antragstellers
A8 2010 Eigeninitiative Fachliche Unabhängigkeit
Transparenz
Diagnosis related groups (DRG)
Übertragung einer hoheitlichen Aufgabe mit evidenzbasierten Entscheiden an eine private Organisation (Swiss DRG)
Präsentation durch das BFS: medizinische Statistik der Krankenhäuser wird durch das BFS erhoben und codiert und aufgrund eines Vertrages der Swiss DRG zur Verfügung gestellt. Methoden sind transparent. Statistiken über Kosten werden von den Krankenhäusern direkt der Swiss DRG übermittelt; Verarbeitungsmethoden sind hier nicht transparent.
Der Ethikrat bedauert, dass nicht alle statistischen Elemente gleich nachvollziehbar sind, beschliesst aber keine weiteren Schritte.
A7 2009 Eingabe Transparenz
Fachliche Unabhängigkeit
Unparteilichkeit und Objektivität
Methoden
Pauschalbeanstandungsklagen von Santésuisse gegenüber einzelnen Ärzten aufgrund einer intransparenten und aus Eigeninteressen manipulierten Leistungserbringungsstatistik (s. dazu auch die parallele Eingabe zur Fallstudie Methode ANOVA, Fall A4) Glaubwürdigkeit der Leistungserbringungsstatistik nicht gegeben.
Antwort an den Antragsteller, dass der Ethikrat in einem Brief an das Eidg. Departement des Innern (EDI) auf das Problem der Übertragung dieser hoheitlichen, eine objektive Datengrundlage voraussetzende Aufgabe an eine private Organisation mit direkten Eigeninteressen hinweist. Eine Korrektur bedingt aber eine Änderung des Krankenversicherungsgesetzes (KVG).
Eingabe
Antwort des Ethikrats
Brief des Ethikrats an das EDI
Antwort des EDI
A6 2008 Eingabe Transparenz
Verantwortlichkeit
Methoden
Kohärenz und Vergleichbarkeit
Rating von Spitälern durch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) aufgrund von Sterberaten In dieser Eingabe wird die Publikation von Sterberaten in verschiedenen Schweizer Spitälern moniert. Die Sterberaten werden vom BAG als Benchmark für die Qualität erbrachter medizinischer Leistungen präsentiert. Es wird kritisiert, dass die Kommunikation des BAG über die Sterberaten zu wenig präzise und damit irreführend sei.
Einholen einer Stellungnahme beim BAG.
BAG stützt sich auf internationale Praxis ab und verweist auf gezielte Medienarbeit zur richtigen Interpretation dieser Raten. Ethikrat hält aber die verwendete Methode für mangelhaft. Er begrüsst die Absicht des BAG, zusammen mit den Spitälern bessere Qualitätsindikatoren zu entwickeln.
Eingabe
Antwort des Ethikrats zur Stellungnahme des BAG
A5 2008 Eingabe Transparenz
Methoden
Szenarien für die Finanzierung der AHV durch das Eidg. Departement des Innern sind: systematisch zu pessimistisch, da der verwendete Lohnindex die durch Arbeitsplatzwechsel und strukturelle Verschiebungen verursachten Lohnänderungen nicht berücksichtigt.
Details des Modells sind zu wenig transparent.
Einholen einer Stellungnahme vom Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV)
BSV verfeinert Perspektivrechnungen bezüglich Erwerbsquoten und fügt einen zusätzlichen Faktor zur Strukturänderung ein.
In seiner Replik erachtet dies der Antragsteller als ungenügend. Einholen einer zweiten Stellungnahme des BSV
Auch diese zweite Antwort befriedigt den Antragsteller nicht. Der Ethikrat lädt den Antragsteller zu einer Darstellung seiner Einwände ein. Er empfiehlt dem Antragsteller, das direkte Gespräch mit dem BSV zu suchen.
Eingabe
Erste Stellungnahme des BSV
Replik des Antragstellers
Zweite Stellungnahme des BSV
A4 2008 Eingabe Transparenz
Fachliche Unabhängigkeit
Unparteilichkeit und Objektivität
Methode
Methode ANOVA zur Ermittlung der Wirtschaftlichkeit von Arztpraxen durch Santésuisse. Diese Methode berücksichtigt eine entscheidende Grösse nicht: den Behandlungszweck (Krankheit). Für andere Zwecke verwenden die Versicherer bessere Methoden, die einen grösseren Anteil der Varianz in den Kosten erklären. Wieso dann nicht für die Beurteilung der Arztpraxen? Auch für die Kosten der Medikamente gäbe es eine bessere und weltweit anerkannte Methode als die hier verwendete. Die cut-off-Schwelle für angebliche Überarztung ist zudem willkürlich festgelegt; Arztpraxen, die diese Schwelle überschreiten, riskieren Rückforderungen. Erste Eingabe: Kontakt mit Santésuisse
Methode mathematisch korrekt, Datenbasis aber weiterhin ungenügend
Antwortbrief an Antragsteller
Replik des Antragstellers (2010) mit der Bitte, zu den beigelegten wissenschaftlichen Studien zur ANOVA-Methode Stellung zu nehmen. Der Ethikrat entscheidet, diese Studien nicht zu bewerten.
Entsprechende Antwort an den Antragsteller.
Eingabe
Erste Antwort des Ethikrats
Zweite Antwort des Ethikrats
A3 2007 Gesuch eines kantonalen Produzenten um Rat Transparenz Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat einen Auftrag zu einer Grundlagenanalyse für die Überarbeitung der Lex Bonny an ein privates Unternehmen vergeben und seine Vorschläge zur Umgestaltung der Lex Bonny massgeblich auf diese Ergebnisse gestützt. Dieses Gutachten und die darin verwendeten Statistiken und Indikatoren sind nicht veröffentlicht worden. Verschiedene Regionen, die bisher von dieser Unterstützung profitieren konnten, werden diese künftig nicht mehr erhalten.

Nicht als Eingabe behandelt, da ausserhalb der öffentlichen Statistik.
Der Ethikrat lässt sich aber durch den Auftragnehmer über die verwendeten Methoden unterrichten.
Die regionale Wertschöpfung ist eine gravierende Lücke im Programm der öffentlichen Statistik.
Gesuch
Antwort des Ethikrats

A2 2005 Eigeninitiative Fachliche Unabhängigkeit (insbes. Indikator 6.6)
Unparteilichkeit und Objektivität
Faltblatt des BFS zur Freiwilligenarbeit in der Schweiz: Vermischung von statistischer Analyse und Werbeslogans Besprechung mit BFS
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A1 2005 Eingabe Rechtsgrundlage
Öffentliches Gut
Transparenz
Fachliche Unabhängigkeit
Unparteilichkeit und Objektivität
Qualitätsstandard
Kohärenz und Vergleichbarkeit
Statistiken der Santésuisse zur Beurteilung der Wirtschaftlichkeit von Arztpraxen: Intransparenz der Datenbasis und Methoden, und Frage, ob eine öffentliche Statistik, von der für einzelne Arztpraxen wichtige Entscheide abhängen, einem Verband überlassen werden darf. Brief an Santésuisse
Brief an Eidg. Dep. des Innern
Der Ethikrat empfiehlt den politischen Instanzen sowie dem BFS, die Kontrolle von beauftragten statistischen Dienstleistern zu intensivieren.
Im Bereich Gesundheitsstatistik besteht zudem ein dringender Bedarf zur Verbesserung der Kohärenz.
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